Page 9 - Ebook-Sufiseiten
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Mein Vater stammte aus der Mashaikh-Familie des Punjab. Er war 1843 geboren
           und seine Familie lebte in Sialkot. Jumashah, der Heilige des Punjab, war sein Vorfahre,
           der Jumashah, zu dessen Grabmal jedes Jahr eine Pilgerfahrt stattfindet. Leute aus allen
           Teilen Indiens – Juden und Christen, Muslime und Hindus gleichermaßen – kommen
           zum Grabmal Jumashahs, um ihm ihre Ehrfurcht und Huldigung darzubieten. Der Name
           meines Vaters Vater war Bahadur Khan. Er lebte sein Leben in der Weisheit der Sufis und
           in Hingabe. Er war seinen Idealen treu.

                Mein Vater war schon von früher Kindheit an Waise. Als sein Vater starb, kam er
           unter die Obhut seines ältesten Bruders Zafar Khan, der vierzehn oder fünfzehn Jahre
           älter war. Mein Vater erzählte eine Geschichte aus jener Zeit, als er unter der Obhut
           von Zafar Khan war, und vielleicht kann sie etwas von der indischen Betrachtungsweise,
           Familienleben und Zuneigung zueinander aufzeigen. Eines Tages, so ging die Geschichte,
           als Zafar Khan nicht zu Hause war, kam der Junge zu spät zum Abendessen und deshalb
           war seine Schwägerin, meine Tante, ärgerlich wegen ihm.


                Mein  Vater  war  von  unabhängiger  Natur,  sehr  feinfühlig  und  voller  Gefühle;  er
           konnte das Missfallen, das seine Schwägerin zeigte, nicht ertragen; er erwartete von
           ihr Zartheit, Rücksicht und Verständnis. Und es war auch so, sie liebte ihn sehr; doch er
           war so empfindsam, dass er ihre Haltung nicht ertragen konnte. So sprang mein Vater,
           impulsiv wie ein Junge sein kann, auf und schwor, dass er von niemandem mehr einen
           Gefallen annehmen würde und rannte aus dem Hause.

                Als der ältere Bruder zurückkam, sah er, dass der Junge schon seit einiger Zeit nicht
           mehr da war, und dass es keine Neuigkeiten gab von ihm. Mein Onkel hielt es nicht aus
           in dieser Unrast und dem Unwohlsein, doch es blieb ein Rätsel, wie der Junge gefunden
           werden könnte. Vielleicht war er in den Strassen der Stadt verschwunden, die sich nahe
           bei ihrem Haus auf dem Land befand. Oder vielleicht war er sogar weiter fort gegangen
           und hatte dieses Land verlassen. Indien besteht, wie Ihr sicher wisst, aus vielen Ländern.
           Es  war  schwierig,  sich  ohne  Hinweis  vorstellen  zu  können,  wohin  die  rebellische  und
           abenteuerlustige Natur der Jugend ihn geführt haben mochte.

                In Indien gehen die Gläubigen oft zum Grab eines Heiligen, um ihm ihre Gebete
           darzubringen, so dass ihre gerechten Wünsche erfüllt werden. Es ist unser Brauch in
           den schwierigen Augenblicken und hoffnungslosen Umständen dieser verwirrenden Le-



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