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Das Leben meines Vaters Rahmat Khan
Sein Kommen nach Baroda
Mein Vater Rahmat Khan war ein Musiker und hatte seine Kunst zu Füßen eines
grossen Meistersängers gelernt, der vor allem für sein Wissen in jenem Zweig der alten
heiligen Musik, die wir Dhrupad nennen, bekannt war. Dhrupad ist Musik aus der Schule,
die in Indien existierte, bevor das Mogul-Reich entstand. Wie alle indische Musik wurde
auch diese nie niedergeschrieben, obwohl sie über Generationen von Meister zu Schüler
weitergegeben und gelehrt worden war. In Indien lernen wir Musik in der Gegenwart
des Meisters, wir hören ihm zu und ahmen ihn nach. Wir sagen, es wird 'von Seele zu
Seele' gelehrt.
Der Meister meines Vaters hieß der Heilige Alias, und er war ihm nicht nur Musik-
lehrer, sondern auch sein geistiger Lehrer oder Murshid, weil der Heilige Alias ein Mys-
tiker und Heiliger war. Er hatte verschiedene Schüler; er war ein Fakir, ein 'König ohne
Krone', der in der Vorsehung Gottes lebte. Er lebte von den Gaben, die ihm geschenkt
wurden. Wenn er mehrere Tage gefastet hatte, ging einer seiner Schüler in die Stadt und
trug dabei seinen Stab. Und wenn ein Händler den Stab des Heiligen Alias sah, schenkte
er ihm sofort alle notwendigen Lebensmittel.
Manchmal besuchte der Maharaja des Landes diesen Murshid, brachte ihm Ge-
schenke, Geld und Gold. All dies pflegte der Murshid sofort unter seinen Schülern
zu verteilen und sagte ihnen, dass sie alles am gleichen Tage ausgeben sollten. Wenn
manchmal das Geschenk sehr groß war, verteilte es der Murshid unter den Einwohnern
der Dörfer in der näheren Umgebung. Dies tat er, um seine Unabhängigkeit zu bewahren
und zu zeigen, dass er nur seiner göttlichen Kunst der Musik diente und im Dienste Got-
tes lebte. Es ist die Unabhängigkeit, die den Künstler ausmacht und seine Kunst bewahrt.
Die Lieder des Heiligen Alias waren sehr besonders und klassisch, die musischen
Menschen schätzten sie sehr. Hindus und Muslime waren seine Schüler und waren ihm
sehr ergeben. Er lebte sein Leben als Asket, ein Mensch nicht von dieser Welt, er lebte in
seiner göttlichen Musik. So lernte mein Vater von diesem Murshid und lehrte seinerseits
uns, seine Söhne. Wir drei Brüder wurden ebenso Musiker.
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