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Über das leben und Werk der autorIn
Noor Inayat Khan kam am ersten Tag des Jahres 1914 in Moskau zur Welt.
Hazrat Inayat Khan, ihr Vater, ein brillanter indischer Musiker und Philosoph, war
auf seiner Lebensmission mit seiner Familie in die Hauptstadt Russlands gereist. Es
waren bewegte Zeiten am Vorabend der Revolution, und man riet ihm, das Land zu
verlassen. Am Tag, als sie aufbrachen, errichteten die Menschen Barrikaden, und so
kamen sie nicht voran. Als sich die aufgebrachte Menge um ihren Schlitten drängte,
nahm Inayat Khan seiner Frau die kleine Noor aus den Armen und hob sie empor.
Das Bild war eindrücklich: Dieser imposante Mann, der seine kleine Tochter in die
Höhe hielt - die Menge wurde still und ehrfürchtig, schliesslich liessen sie die junge
Familie durch.
Noor war die Älteste von vier Kindern, ihre Mutter war eine junge Amerikane-
rin, Ora Ray Baker, die Inayat Khan in San Francisco kennengelernt hatte. Die Familie
lebte während des ersten Weltkrieges in ärmlichen Verhältnissen in London; später
zogen sie nach Suresnes, in der Nähe von Paris, wo alle vier Kinder ihre Kindheit ver-
brachten und später auch studierten.
Noor war ein intelligentes Mädchen, fein und träumerisch. Sie liebte ihre Eltern
sehr, war hilfsbereit und liebevoll gegenüber ihren beiden Brüdern und ihrer Schwes-
ter. Sie war von altem königlichen Geschlecht, Ur-Ur-Grossnichte von Tipu Sultan,
dem Tiger von Mysore, und lebte auf, wenn sie Geschichten hörte, die die besten
menschlichen Eigenschaften beschrieben. Ihr Vater war ihr lebendiges Vorbild von
ausserordentlichem Idealismus, poetischer und musikalischer Ausdruckskraft, und
bald schon widerspiegelten sich diese gleichen Eigenschaften in ihr selbst, in Vilayat,
Hidayat und Khairunisa.
Ihre Mutter schrieb, neben vielen anderen Gedichten (versammelt unter dem
Titel “Rosary of a Hundred Beads“) Geburtstagsverse für all ihre Kinder; Noor, mit
ihrem grossen Talent für Sprache, Rhythmus und Musik, nahm diese Tradition auf. Sie
war elf Jahre alt, als sie dieses Gedicht auf Französisch schrieb:
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